Wenn du wirklich Multikrisen verstehen willst, musst du dir eine ungemütliche Wahrheit eingestehen: Dein Unternehmen macht nicht zufällig immer wieder dieselben Fehler. Es folgt Mustern. Alten Mustern. Hartnäckigen Mustern. Mustern, die früher genial waren, heute aber gefährlich. Und genau deshalb fällst du in der aktuellen Lage – mit all den wirtschaftlichen, politischen und technologischen Überlagerungen – immer wieder in dieselben Spiralen zurück. Nicht, weil du unfähig wärst. Sondern weil dein System stärker ist als deine Entscheidungen.
Die bittere Erkenntnis: Dein System funktioniert – nur leider für eine Welt, die es nicht mehr gibt
Organisationen sind Gewohnheitstiere. Sie lieben Stabilität. Sie bevorzugen Wiederholung. Und sie reagieren auf die Welt mit der Logik, die ihnen Erfolg gebracht hat. Das ist verständlich – aber in einer Welt voller Brüche brandgefährlich. Denn das, was früher Klarheit, Planbarkeit und Sicherheit ermöglicht hat, macht dich heute blind.
Die meisten Unternehmer, die ich begleite, glauben fest daran, dass sie ihr System führen. Doch ehrlicherweise ist es meist umgekehrt: Das System führt sie. Entscheidungen sind selten frei. Sie folgen unsichtbaren Erwartungen, Rollenbildern, kulturellen Ritualen, Loyalitäten und unausgesprochenen Verpflichtungen. Und genau diese alten Muster kollabieren jetzt.
Unser Umfeld hat sich radikal verändert. Früher hattest du Märkte, die sich moderat bewegten. Heute hast du Überlagerungen: wirtschaftliche Schocks, geopolitische Machtverschiebungen, digitale Beschleunigung und gesellschaftliche Polarisierung – gleichzeitig. Das Harvard Business Review beschreibt diesen Zustand als eine Führungssituation, in der klassische Planbarkeit endgültig ausgedient hat, und Führungskräfte lernen müssen, Muster zu erkennen, bevor sie zu Realität werden. Das ist kein Denken, das du mit besseren KPIs oder mehr Controlling erreichst. Das ist eine komplett andere Art, ein Unternehmen zu sehen.
Und hier beginnt das Problem: Die allermeisten Unternehmer sehen Multikrisen wie Wetter. Unangenehm, aber temporär. Doch das heutige Umfeld ist kein Sturm. Es ist das neue Klima.
Warum dieselben Fehler immer wiederkommen – egal, wie gut du führst
Viele Unternehmer sagen mir: „Thomas, ich habe es doch erklärt. Ich habe es klar gesagt. Ich habe Maßnahmen definiert.“ Und trotzdem passiert nichts. Oder es passiert – und fällt wieder zurück.
Das liegt daran, dass dein System nicht auf deine Worte hört, sondern auf seine Logik. Und diese Logik ist das Ergebnis jahrelanger Konditionierung: Erfolgsmechanismen, familiäre Prägungen, kulturelle Codes, alte Rituale, informelle Hierarchien, die keiner sieht, aber jeder spürt.
Muster sind wie unsichtbare Stromschienen. Sie lenken Verhalten. Sie bestimmen Tempo. Sie erzeugen Wiederholung. Und sie setzen Grenzen, die du als Unternehmer oft gar nicht wahrnimmst.
Es gibt drei Gründe, warum Muster stärker sind als Absichten:
1. Systemlogiken dominieren Intentionen.
Du kannst wollen, was du willst – wenn das System etwas anderes produziert, gewinnt
das System.
2. Rollenidentitäten übersteuern Entscheidungen.
Führungskräfte spielen oft Rollen, die sie eigentlich längst abgelegt hätten,
wenn das System nicht darauf bestehen würde.
„So macht man das hier“ ist einer der gefährlichsten Sätze im Mittelstand.
3. Energetische Wiederholungsmechanismen halten alte Muster stabil.
Wenn etwas funktioniert hat, wird es weitergeführt – selbst wenn es längst schadet.
Die drei Wiederholungsmuster, die dein Unternehmen in Multikrisen sicher an die Wand fahren
1. Geschwindigkeit statt Orientierung
In unsicheren Zeiten rennen viele Unternehmen einfach schneller. Mehr Meetings. Mehr Maßnahmen. Mehr Reports. Mehr Aktionismus. Doch Geschwindigkeit ohne Orientierung ist nur ein schöneres Wort für Chaos.
Wenn dein Unternehmen unter Druck sofort die Drehzahl erhöht, dann folgt es einem alten Muster: „Leistung löst alles.“ In Multikrisen aber löst Leistung gar nichts. Sie verstärkt nur die Muster, die dich in Schwierigkeiten bringen.
2. Kontrolle statt Klarheit
In Krisen greifen viele Führungskräfte zur größten Illusion der Sicherheit: Kontrolle. Engere Prozesse, mehr Freigaben, noch detailliertere Kennzahlen. Doch Kontrolle ist kein Führungsinstrument – sie ist ein Angstreaktionsmuster.
Klarheit dagegen bedeutet: Die Muster hinter dem Verhalten zu erkennen – nicht das Verhalten selbst zu bestrafen.
3. Loyalität zur Vergangenheit statt Verantwortung für die Zukunft
Loyalität ist etwas Wunderschönes – im Privaten. Im Unternehmen ist sie oft ein Bremsklotz.
Alte Strukturen nicht anzurühren, alte Rollen nicht zu verändern, alte Teams aus Pflichtgefühl zu halten, alte Geschäftsmodelle aus Tradition weiterzuführen – das alles fühlt sich moralisch sauber an. Aber es ist systemisch tödlich.
Multikrisen bestrafen Vergangenheitsbindung. Sie belohnen nur eines: Bereitschaft zur Neuausrichtung.
Die gefährlichste Illusion erfolgreicher Unternehmer
Je erfolgreicher du warst, desto stärker ist dein Risiko heute. Erfolg konserviert Muster. Erfolg stabilisiert Rituale. Erfolg fühlt sich gut an – und macht dich blind.
Viele Unternehmer glauben, dass ihre Intuition sie durch jede Krise führen kann. Aber Intuition entsteht aus Erfahrung – und Erfahrung aus einer Welt, die längst verschwunden ist.
Die Frage ist also nicht: „Bin ich ein guter Unternehmer?“ Sondern: „Ist mein System in der Lage, die heutige Komplexität zu verarbeiten?“
Und die ehrliche Antwort lautet bei vielen: Nein. Nicht, weil sie schlecht führen – sondern weil sie die Muster nicht sehen.
Wer Muster nicht erkennt, bekämpft Symptome. Wer Symptome bekämpft, erzeugt Druck. Wer Druck erzeugt, beschleunigt die Muster. Und genau so dreht sich das Karussell weiter.
Was du wirklich tun kannst – jenseits von Workshops, KPIs und Motivationspredigten
Ich erspare dir die klassischen Listen. Du brauchst keine neuen Tools. Du brauchst keine neuen Apps. Du brauchst keine agilen Ritualtänze.
Du brauchst etwas viel Selteneres: Eine Perspektive, die dein System nicht kennt.
1. Stell die Frage, die dein Unternehmen seit Jahren vermeidet:
„Welches Muster produziert unser Verhalten?“
Nicht, wer schuld ist.
Nicht, wer bremst.
Sondern: Warum wiederholt sich das?
2. Hol das Unsichtbare auf den Tisch.
Machtflüsse, verdeckte Loyalitäten, ungeschriebene Regeln, geheime Erwartungen.
Das, was keiner offen sagt – aber alle leben.
3. Trenne Identität von Funktion.
Viele Unternehmer führen aus Funktion, nicht aus Identität.
Und solange das so bleibt, führt das System dich – nicht du das System.
(Warum das so ist und wie du es änderst, erkläre ich ausführlich im
ersten Grundpfeiler zu Identität und Selbstführung
.)
4. Lies Szenen, nicht Ereignisse.
Krisen sind selten neu.
Sie sind wiederkehrende Szenen – nur mit anderen Schauspielern.
5. Hol dir eine Außenperspektive, die keine Angst vor deinem System hat.
Denn innen siehst du Muster nicht – du atmest sie.
Wenn du bereit bist, die Muster deines Systems zu entschlüsseln
Dann lass uns reden. Nicht über Prozesse. Nicht über Motivation. Sondern über das, was dein Unternehmen wirklich führt: seine Muster.
Und wenn du tiefer verstehen willst, wie Führung in überlagerten Krisensituationen gedacht werden muss, empfehle ich dir diesen hervorragenden Artikel des Harvard Business Review, der die aktuelle Lage glasklar einordnet: Leading Through Crisis.
